World Vision – Vom stillen Leid des Hungers

UKD-HP-pic-150403-World-VisionGastbeitrag: Vom stillen Leid des Hungers
von Josef Nussbaumer
World Vision Österreich, April 2015

In Mitteleuropa liegt die letzte verbreitete Hungererfahrung zwar schon einige Jahrzehnte zurück – zum letzten Mal wurden unsere Gegenden in der unmittelbaren Nahkriegszeit, etwa 1945 bis 1948, vom Hunger heimgesucht. Global betrachtet ist Hunger aber leider immer noch und immer wieder ein trauriges Faktum. Wieso gelang es bis zum heutigen Tag nicht, dieses Skandalon Hunger ein für allemal von unserem Globus zu vertreiben? Wieso gelang es nicht zumindest zeitweise, die lokale Hungerlosigkeit in den reicheren Ländern stärker zu „globalisieren“? Antworten auf diese Fragen könnten Bücher füllen und selbst dann wären sie wohl noch nicht erschöpfend beantwortet.

Nur einige wenige Anmerkungen seien in der Folge genannt.

Anmerkung 1: Erstens gilt es festzuhalten, dass Hunger – wie die meisten ökonomischen Tatbestände – kein monokausales Phänomen darstellt. D.h. es gibt nicht die eine Hungerursache, sondern es gibt eine ganze Fülle von Verursachern und Auslösern von Hunger, die dann aber in ihrem Zusammenwirken einer Verurteilung zum Hunger von Geburt an gleich kommen können.

Anmerkung 2: Zweitens sei darauf verwiesen, dass Hunger in der Geschichte und bis zum heutigen Tag primär kein Produktionsproblem, sondern ein Verteilungsproblem ist und war. Mit anderen Worten: Es werden in Summe nicht zu wenig Nahrungsmittel auf unserem Globus produziert, sondern aus verschiedenen und vielschichtigen Gründen gelangen die produzierten Lebensmittel nicht (ausreichend) zu allen Menschen, schon gar nicht zu den Hungernden. Man sollte also NIE vergessen, dass das Hungerproblem nicht nur für die derzeitige Weltbevölkerung zu lösen wäre, sondern auch eine globale Bevölkerung von 10 Milliarden Menschen – die im Laufe des 21. Jahrhunderts Realität werden dürfte.

Anmerkung 3: Dafür wären aber einige wichtige Bedingungen zu erfüllen, von denen nur einige kurz genannt seien:

3.1: Zuerst muss es unbedingt gelingen, die Vernichtung von Lebensmitteln zu vermindern und soweit möglich ganz zu vermeiden. Mittlerweile hat die globale Lebensmittelvernichtung eine Dimension angenommen, die tagtäglich zum Himmel schreit. Es gibt Schätzungen, die von einer Vernichtung von bis zu 50 Prozent (sic!) der weltweiten Lebensmittelproduktion oder von bis zu 2 Milliarden Tonnen pro Jahr ausgehen (das ist fast ein Kilogramm Nahrung pro Kopf und Tag).

3.2: Zweitens wird damit indirekt auf ein weiteres Problem verwiesen: Die Ess- und Konsumgewohnheiten der reichen Welt. Sie sind in der jetzigen Form nicht globalisierbar. Das zeigt sich z.B. am Fleischkonsum drastisch.

3.3: Drittens gilt, was soeben für die Fleischproduktion angedeutet wurde, in noch stärkerem Maße für die Produktion von Agrotreibstoffen. Beides wird dadurch noch problematischer, weil die guten Agrarflächen auf unserem Globus unter ökologischen Aspekten weitgehend ausgeschöpft und kaum noch vermehrbar sind.

3.4: Viertens zeigt sich die Verknappung von gutem Agrarland auf unserem Globus schon heute in einem relativ neuen, aber gerade für die Nahrungsverteilung äußerst problematischen Phänomen, dem so genannten „Land Grabbing“. In seiner negativsten Form handelt es sich um eine Neuauflage kolonialer Praktiken. Diese muss dringend verhindert werden.

3.5: Fünftens: Aus der langen Liste politökonomischer Ursachen für Hunger sei das Problem der Agrarsubventionen herausgegriffen. So hat z.B. nach Angaben von Jean Ziegler die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) – also die reichen Ökonomien dieses Globus –  im Jahr 2010 ihre Bauern mit 349 Milliarden US-Dollar finanziell unterstützt. Die „reichen“ Bauern werden somit massiv unterstützt, gegen diese Konkurrenz sind die „armen“ Bauern chancenlos.

3.6: Vieles könnte noch genannt werden. Ein zentraler Punkt, der wie ein Damoklesschwert über allen Hungernden hängt, fehlt aber noch: Frieden und ein Minimum an Demokratie. Kriege und Diktaturen zählen seit ewigen Zeiten bis in die unmittelbare Gegenwart zu den größten Hungerverursachern. In Kriegen wurde und wird sehr oft mit der Waffe des Hungers „geschossen“, auch Diktaturen praktizier(t)en diese Strategie immer wieder.

Anmerkung 4: Eine letzte wichtige Anmerkung zum Schluss. Hungern und Verhungern findet in aller Regel im tödlichen Kreislauf von Hunger, Tod und Stille statt: Wer hungert, stirbt, und dieser Tod erzeugt Stille, die wieder Hunger zur Folge hat. Wenn man Hunger wirklich mit Erfolg bekämpfen will, dann muss das Hungern und die Hungerproblematik dieser Stille entrissen werden. Noch aber herrscht diese Stille. Das globale Hungerproblem ist in unseren Köpfen nicht als die riesige soziale und humanitäre Katastrophe verankert, die es ist. Wir haben es zwar geschafft, auf dem Mond zu landen, wir schaffen es aber nicht, den Hunger auf unserem Globus zu beseitigen. Offensichtlich ist es viel leichter, schwere technische Probleme zu lösen, als das Sozialproblem Hunger.

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