Rezension: Kreuzweg des Konsums
von Sabine Strobl
Tiroler Tageszeitung, Freitag 03.04.2015, Seite 28
Die Ökonomie ist für viele Menschen mit Ausbeutung verbunden. Tiroler Wirtschaftshistoriker beschreiben zum Karfreitag das Leid der Welt in 14 Stationen.
Innsbruck – „Diese Wirtschaft tötet.“ Dieser Satz von Papst Franziskus bekräftigte den Volkswirtschafts- professor Josef Nussbaumer, die Kluft zwischen Arm und Reich mit der Metapher des Kreuzweges zu beschreiben. Mit Andreas Exenberger und Stefan Neuner hat er einen Berg an Zahlen und Studien durchgeackert, plakativ bearbeitet und in dem Buch „Leidenswege der Ökonomie“ (Studia) veröffentlicht. In 14 Stationen zeigen sie auf, wie Mensch und Natur an ihre Grenzen treiben. Die TT traf Josef Nussbaumer und Stefan Neuner zum Gespräch.
1 Hunger. Dieses stille Leid ist ein Problem der Verteilung, nicht der Überbevölkerung. Allein die weggeworfenen Lebensmittel in den USA und Europa könnten alle unterernährten Menschen dreimal ernähren. Agrotreibstoff, Landraub und der Fleischkonsum der westlichen Welt bringen den Süden in Bedrängnis. Auch Diktaturen arbeiten mit der Waffe Hunger. Ökonom Nussbaumer: „Der Hunger ist immer noch der größte Skandal, dessen Bekämpfung an oberster Stelle stehen muss.“ Besonders Agrotreibstoffe sind ihm ein Dorn im Auge. Für die Produktion von 50 Litern Bioethanol benötigt man laut UNO 232 Kilogramm Mais.
2 Produktion. Wie die Autoren beobachten, beutet das globale Wirtschaftssystem Mensch und Natur aus. Die internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat errechnet, dass täglich 6000 Menschen an den Folgen von Arbeitsbedingungen sterben. Der ökologische Rucksack eines goldenen Eherings wiegt 10 Tonnen. Neuner: „Ich würde mir heute einen Plastik-Ehering zulegen. Man wirft Plastik zu früh weg.“
3 Konsum. Der Massenkonsum verbreitete sich nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA ausgehend auf der Nordhalbkugel. Wobei die Rohstoffbesorgung und die arbeitsintensive Produktion im Süden erfolgt. Somit wirken sich dort auch die Umweltschäden zuerst aus. Laut „Rio + 20“-Konferenz 2012 konsumieren 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Waren. Neuner: „Wir müssten bewusster weniger einkaufen und die Dinge länger nutzen.“
4 Ressourcen. Je reicher der Boden, desto ärmer das Land, erklärt Nussbaumer. „Ressourcen sind knapper, als man meint. Man sieht das Problem nicht, weil die Rohstoffe meist anderswo abgebaut werden. Der Mensch bewegt jährlich 90 Milliarden Tonnen Material. Der Süden verbraucht pro Kopf (von seinen Rohstoffen) zwei Tonnen jährlich, Europa 20, die USA 30 Tonnen.
5 Mobilität. Das Tempo an den Börsen hat sich in den letzten Jahren vertausendfacht. Auch die Mobilität des Menschen nimmt rapide zu. In Deutschland kommen 600 Autos auf 1000 Personen. Heute sind hundertmal mehr Fluggäste unterwegs als 1950. Nussbaumer: „Die permanente Mobilität ist wahrscheinlich ein Intermezzo, in dem wir uns gerade befinden.“ Man werde künftig in Ballungszentren leben müssen.
6 Boden. „Wir feiern heuer das Jahr des Bodens. Ich hoffe, das ist nicht zu spät“, sagt Nussbaumer. Ein Viertel der Böden weltweit weisen nach Umweltorganisationen große Schäden auf. Mutterboden, dessen fruchtbare dünne Schicht sich in fünfhundert Jahren bildet, geht verloren. Gefahr droht durch den Konkurrenzkampf um die Bodennutzung und durch Pestizide.
7 Wald. Der Wald erfüllt seit Jahrtausenden verschiedenste Aufgaben. Er liefert Baumaterial, Nahrung, Medizin und ist Erholungsraum, CO2-Speicher und Klimaregulator. Schätzungen zufolge ist bis zur Hälfte der ursprünglichen Waldfläche verloren gegangen. Neuner: „Mich fasziniert, dass wir einatmen, was der Wald ausatmet.“
8 Meer. Das Meer ist eine überbeanspruchte Lebensgrundlage. Alleine die Fischflotte würde Medienberichten zufolge für drei Planeten reichen, Atommüll und unsichtbare Plastikteilchen werden in den Ozeanen versenkt. Dabei sind erst fünf Prozent der Meere erforscht. „Wir kennen den Mars besser als unsere Meere“, wundert sich Neuner.
9Wasser. Nussbaumer sieht das Hauptproblem im „virtuellen Wasser“, das zur Produktion von Gütern verbraucht wird. So werden für ein Kilogramm Fleisch 124 Badewannen Wasser benötigt. Befürchtungen gehen dahin, dass bald die Hälfte der Weltbevölkerung nicht über ausreichend Süßwasser verfügt. Der überwiegende Teil von Krankheiten ist auf verunreinigtes Wasser zurückzuführen.
10 Arten. Forscher gehen davon aus, dass in den letzten 40 Jahren die Anzahl von Land- und Meerestieren um 40 Prozent zurückgegangen ist. „Eine Art ist gerade dabei, alle anderen auszurotten. Dabei könnte der Globus ganz gut ohne sie auskommen“, meint Nussbaumer dazu. Dabei weiß der Mensch noch gar nicht, wie viele Pflanzen- und Tierarten es überhaupt gibt.
11 Arbeit. Aus dem Weltarbeitsbericht 2014 geht hervor, dass nur zwei Milliarden Menschen in Haushalten leben, in denen eine Person eine abgesicherte Beschäftigung innehat. Sklaverei, prekäre Arbeitsverhältnisse, Kinderarbeit und unbezahlte Arbeit, die von Frauen geleistet wird, sind die heutigen Brennpunkte. Neuner: „Ich glaube, dass noch nie so viele Menschen ausgebeutet wurden wie heute.“
12 Verteilung. Bei diesem Thema tut sich Nussbaumer schwer, seriöse Zahlen zu finden. Man geht davon aus, dass 1 Prozent der Weltbevölkerung die Hälfte des Vermögens besitzen. „Das hat nichts mehr mit dem Leistungsprinzip zu tun“, ärgert sich Neuner. Mittlerweile warnen auch Banker und Konzernbosse vor der auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich. Die Gesellschaft bringe sich um Chancen und Sicherheit.
13Müll. Die Kehrseite von Produktion und Konsum ist der Müll. Wie Nussbaumer erläutert, kann dieser zum Öl des 21. Jahrhunderts werden. Vorerst hat ihn der Mensch aber nicht im Griff. 2014 wurden 4,5 Milliarden Handys weggeworfen. Allein eine Tonne Mobiltelefone enthält 30-mal mehr Gold als eine Tonne Gestein in einer Goldmine.
14 Klima. Bezüglich Klima lässt die Forschung immer wieder aufhorchen. So geht die Blütezeit des Römischen Reiches mit einer Warmzeit einher. Umgekehrt fielen die Pest und der 30-jährige Krieg in eine kühlere Klimaperiode. Nicht nur Obama erklärt, dass wir heute zur ersten Generation zählen, die den Klimawandel spürt, und zur letzten, die etwas ändern kann. Neuner: „Wir brauchen Lösungsansätze, die über Jahrzehnte hinausreichen.“ Im Herbst soll in Paris ein weltweites Klimaabkommen weiterverhandelt werden.
Und was ist mit der Hoffnung? „Die Zeit nach dem Neoliberalismus wird in Nischen erprobt“, meint Nussbaumer. Wie Neuner ausführt, „gibt es die große Lösung nicht, doch das eigene Umfeld kann man beeinflussen“. Immerhin: die Zahl der Hungerleidenden sinkt. Im Kongo sorgt ein Holzauto für Furore und im deutschsprachigen Raum kümmern sich 2500 Firmen um Gemeinwohlökonomie – sie beziehen Sozial- und Umweltverträglichkeit in ihre Rechnung ein. Nussbaumer: „Wachstum muss sich nicht auf Geld beziehen. Es könnte auch Zufriedenheit sein.“