Deutschlandradio – Sieben Milliarden…

“Sieben Milliarden Menschen destilliert zu 100”
von Stephan Beuting
DEUTSCHLANDRADIO
, 08.02.2010

Die Autoren Josef Nussbaumer, Andreas Exenberger und Stefan Neuner wagen ein Gedankenexperiment: Sie entwerfen ein Dorf namens “Globo”, das hundert Einwohner hat. Hier sind die globalen Probleme verdichtet: Wirtschaft, Ernährung, Konsum. Arbeit, Energie, Verkehr.

Der Mensch prägt seine Umwelt, verbraucht sie. Die Art und Weise, wie das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in vielen Fällen zugenommen hat, könnte man mit der Metapher der Explosion verdeutlichen. Bang. Immer dann, wenn ein statistisch signifikanter Bruch in einer Grafik oder Tabelle auftaucht, steht da “Bang”. Die Comic-Ästhetik des Schriftzugs, die Karten, die ein wenig so wirken, als gehörten sie zur Ausstattung eines Gesellschaftsspiels, all das steht in Kontrast zum Thema des Buches. Es geht um fehlende Nachhaltigkeit (das Umweltproblem), fehlende Gerechtigkeit (das Verteilungsproblem) und fehlender Frieden (das Gewaltproblem).

Professor für Wirtschaftswissenschaften der Uni Innsbruck und Mitautor des Buches, Josef Nussbaumer:

“Eines ist völlig klar. Mit dem Wirtschaftssystem im Sinne des Ressourcenverzehrs, wie wir es in Mitteleuropa, also Österreich, Deutschland, der Schweiz oder in den USA haben, werden wir eine Welt von sieben Milliarden, die wir bald haben, oder von neun Milliarden sicher nicht bedienen können, das ist außer Diskussion, das weiß jeder.”

Betrachtet man diese Entwicklung weltweit, bleiben die Szenarien abstrakt. Vom Standpunkt des Durchschnittsmitteleuropäers sind Dinge wie Trinkwasserknappheit, Wüstenbildung und Kinderarbeit erschreckend, aber, nur mittelbar, weil räumlich weit entfernt. Ganz anders sieht das aber in einer Welt aus, die nur von 100 Menschen bevölkert wird. Globo heißt dieses Dorf.

Dieser Kunstgriff soll es ermöglichen, besser mit ungewohnten globalen Realitäten vertraut zu werden, und das bezogen auf eine Gruppe, die vielleicht ziemlich genauso groß ist wie jene Gruppe von Menschen, mit der man im Bekannten- und Freundeskreis beruflich und privat wirklich zu tun hat.

ANDRUCK

Die Globo-Einwohner leben in sechs Weilern, also in Afrika, Asien, Ozeanien, Europa, Nord- und

Lateinamerika, jeweils unter ganz unterschiedlichen Bedingungen. Ein Beispiel: Derzeit besitzen in Globo 41 Personen keine sanitären Anlagen, 13 haben keinen Zugang zu ausreichend sauberem Trinkwasser. Tendenz steigend. Laut Prognose werden es bis zum Jahr 2025 49 Personen sein. Dann wird also jeder zweite des 100 Einwohnerdörfchens unter sogenanntem “Wasserstress” leiden. Ob man den Zugang zu Nahrung und Bildung nimmt, oder Lebenserwartung und Reichtum näher betrachtet: in der Globo-Simulation ist das alles höchst ungleich verteilt.

Insbesondere der sichere Lohnjob auf Lebenszeit mit Pensionsanspruch ist eine Sonderform, die es nur in wenigen Regionen von Globo, nur für wenige Jahrzehnte und praktisch fast nur für Männer überhaupt gegeben hat, alles in allem vielleicht für zwölf Menschen.

Die riesige Datenmenge, die dem Buch zugrunde liegt, lässt sich aus Lesersicht allenfalls erahnen, dankenswerterweise haben die Autoren rigide geordnet und das Material auf die jeweilige Quintessenz hin verdichtet.

“Das Buch bietet eigentlich kaum Lösungsansätze an, was es aber macht, es ist ein Versuch Deskription im besten Sinne des Wortes zu liefern, also zu beschreiben, wie die Zustände sind, und das ist der erste Punkt. Dort muss man beginnen.”

Kleines Dorf, kleines Buch, kleine Ansprüche? Zumindest, schlägt Josef Nussbaumer vor, kleine Schritte zu machen, um die großen Probleme anzugehen. Bewusstseinswandel könne, geschichtlich betrachtet, nie verordnet werden sondern müsse von unten, also “bottom up” entstehen. Stark ist das Buch in den kompakten Zusammenfassungen der Kapitel, oder wenn die Autoren hochrechnen, wie viele Welten von Nöten wären, würden alle Menschen soviel Papier verbrauchen, wie das reichste Viertel der Welt. Gebraucht würden dann nämlich fünf Globos, aufs Erdöl gerechnet sind es sogar sieben. Ebenso überzeugend erklären die Autoren darüber hinaus Grundlagen, die der Demografie beispielsweise, oder etwa die Kondratieff-Zyklen, womit wirtschaftswissenschaftlich die wellenartigen Abwechslungen von Konjunktur und Depression beschrieben werden. Das Buch hat aber auch kleine Schwächen. Zum Beispiel dort, wo sich die Autoren in ihren Ausführungen verlieren, zwischen dem Globo-Modell und der realen Welt, zwischen Afrika und Nordamerika, dem 18. und dem 21. Jahrhundert. Ein Dorf, das haben die Autoren in ihrer Idee vielleicht angelegt aber nicht ausgeführt, ein Dorf ist mehr als nur eine statistisch und begrifflich leicht handhabbare Einheit. In der Welt-Dorf- Analogie liegt der Hinweis auf eine andere Art des Einfühlungsvermögens, auf soziales Handeln und eine Form von Verteilungsgerechtigkeit, die im Dorf funktionieren mag, im globalen Maßstab aber keine Entsprechung findet. Würde sich das ändern, könnten vielleicht einige der besorgniserregenden Trends umgekehrt werden, ändert es sich nicht, steht da am Ende von Unser Kleines Dorf eine Grafik die das Szenario abbildet. Ihr Titel:”schlechte Aussichten”. Bang

Sieben Milliarden Menschen destilliert zu 100, die Welt: ein Dorf. Was zu Beginn des Buches als spannendes Gedankenexperiment beginnt, verliert sich zuweilen auf den folgenden Seiten. Der Zoom bleibt auf halbem Wege stecken, das Globodorf mag nicht so richtig zum Leben erwachen. Und dennoch ist den Autoren ein hintergründig-faktenreiches und dabei verständliches Buch zur Lage des Planeten gelungen, sie entwerfen, im wahrsten Sinne des Wortes, ein “globozentrisches Weltbild”.

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