Rezension: “Globospiel”
die Spielerei, Nr. 99, April-Juni 2013, Seite 19-20
von Wieland Herold
„Die Welt ist ein Dorf!“ – dieser oft unreflektierte Spruch ist die Basis für Stefan Neuners und Andreas Exenbergers Globospiel. Eigentlich kein Spiel, sondern ein Gedankenexperiment, das zu überraschenden Erkenntnissen führt. Die Vorstellung vom „globalen Dorf“ ist inzwischen schon über 50 Jahre alt. Geprägt hat sie 1962 äußerst weitsichtig Marshall McLuhan, kanadischer Philosoph und Kommunikationstheoretiker. In seinem Werk „Die Gutenberg- Galaxis“ sieht er durch die Entwicklung der elektronischen Medien die Welt zu einem Dorf zusammenwachsen. Seine Vorstellung ist inzwischen zu der Metapher für das Internet geworden.
Der angehende Wirtschafts- und Sozialhistoriker Stefan Neuner und Andreas Exenberger, Dozent für eben diese Wissenschaften an der Uni in Innsbruck, haben 2009 mit ihrem Gedankenexperiment begonnen und es in Buchform gebracht. „Unser kleines Dorf“ sollte die in nicht mehr messbare Dimensio- nen gewachsene Welt, wieder verständlich werden lassen. Die Autoren stellten sich unsere Welt aus der Perspektive des Jahres 2000 herunter gerechnet auf ein Dorf mit 100 Einwohnern vor. Sie knüpfen dabei an eine Diplomarbeit von Ursula Kaml an, die schon 2003 einem ähnlichen Ansatz folgte: Ihr Dorf hatte damals 1000 Einwohner. In diesen Dimensionen wird alles irgendwie vertrauter, vorstellbarer, wenn in Globo 61 Asiaten leben, aber nur 12 Europäer, wenn 6 Personen fast 60 Prozent des gesamten Weltreichtums besitzen und alle aus den USA kommen. Betroffenheit wird größer, wenn man feststellt, dass in unserer direkten dörflichen Nachbarschaft nur 20 Personen in hinreichenden Wohnverhältnissen leben können, dass 70 Analphabeten sind und 50 unterernährt. Ein einziger Dorfbewohner ist Akademiker und keiner in dem Dorf würde die Spielerei oder die spielbox lesen.
In dieser Größenordnung würde auch niemand das Globospiel kennen und sich an diesem Gedanken- spiel erfreuen. Mit der Kartenspielfassung des Buches haben die beiden Autoren 2012 die Welt hosentaschengerecht aufbereitet. Die Zahl der Dorfbe- wohner von Globo wurde halbiert. Betrachtet man das historisch, wuchs die Bevölkerung Globos in den letzten zweihundert Jahren von 9 auf 50 Men- schen. 15 Dorfbewohner sind Kinder, 10 sind älter als 50 Jahre.
Schauen wir uns einen unserer Nachbarn genauer an. Da ist der 14jährige Xhosa Malé. Trotz exotischen Namens ist Xhosa Europäer. Unsere Welt ist eben ein globales Dorf. Die Namensgebung folgt den Dorfregeln, dass die Vornamen sich auf Sprachen beziehen, die mindestens fünf Millionen Sprecher haben. Der Vorname unseres jungen Europäers kann einem Bantu-Dialekt zugeordnet werden. Das nächste Rätsel versteckt sich in den Nachnamen, die sich auf Hauptstädte beziehen aus Staaten mit weniger als 60 Millionen Einwohnern. Ein Mr. Berlin kann also nicht auftauchen und auch ein Tagalog Washington ist unmöglich. Vielleicht hegt also die Familie unseres kleinen Xhosa eine Vorliebe für Ur- laube auf den Malediven. Alle Dorfbewohner sind durchnummeriert, einem Weiler (Kontinent) zuge- ordnet und auch ihre Kreditwürdigkeit wird vermerkt. Mit Triple A blickt Xhosa vergnügt in die Zukunft auf der Basis einer tollen Wohnung, exzellen- ter Ausbildung, überdurchschnittlichen Einkom- mens, solide ernährt mit der Perspektive auf weitere 67 Jahre Dorfleben. Auch der Ressourcenverbrauch und die Regeneration von Biokapazität werden neben der militärischen Komponente in den Blick genommen. Ganz anders sieht dies für die nur ein Jahr jüngere Hiligaynon (besser bekannt als Ilonggo, eine der vielen Sprachen der Philippinen) Tegucigalpa (Hauptstadt von Honduras) aus. Die dreizehnjährige Afrikanerin wird nur noch 31 Jahre in der Nachbar- schaft des Einfamilienhauses Xhosas leben. Nur halb so gut ernährt, miserabel ausgebildet, mit ei- nem Einkommen, das gerade einmal 3 Prozent von dem Xhosas ausmacht.
Wenn wir uns umblicken, sehen wir viele Schick- sale wie das Hiligaynons vor uns. Die Autoren zeigen uns dabei keine realen Menschen, sondern lassen uns in Hydrantenaugen schauen. Ein treffender Verweis auf die wohl zentralste Ressource für die Zukunft des Dorfes.
Die Spielideen lassen sich in Klein- und Großgruppen umsetzen. Sie sind spielerisch nicht unbedingt kreativ und weitgehend an Klassikern orientiert. Die erste Spielvariante folgt dem Prinzip von Super-trumpf-Spielen, die sich aus den Autoquartetten heraus entwickelt haben. Die Karten werden alle an die zwei bis fünf Spieler verteilt. Der Kartengeber legt fest, ob in der Spielrunde die höchsten oder niedrigsten Werte gewinnen. Vom Kartenstapel ist im- mer nur die oberste zu sehen. Einer gibt eine Kategorie vor, z. B. die Lebenserwartung. Wer dann nach Vorgabe z.B. das längste Leben vor sich hat, gewinnt die Karten. Sobald ein Spieler alle Karten verliert, scheidet er aus der Runde aus. An dieser Stelle kann auch das Spielende einsetzen, sodass der gewinnt, der die meisten Karten zu diesem Zeitpunkt besitzt. In der Regel wird aber solange gespielt, bis ein Spieler alle Karten gewonnen hat. Der Regelbeschreibung merkt man deutlich an, dass die Erfinder keine Spieleautoren sind. Ihre allgemeine Formulierung für das Spielende führt ins Leere. „Gewonnen hat das Spiel, wer die meisten Karten für sich gewinnen konnte.“ Die „meisten Karten“ verweist nicht auf das übliche Spielende, wann dann aber Schluss ist, wird nicht definiert.
Die Variante Terzett orientiert sich am klassischen Quartettspiel. Sammelkriterium sind dabei die Rating-Werte. Auf Plus- und Minuswerte muss nicht geachtet werden. Am einfachsten sind Terzette bei den Menschen ohne Rating-Wertung zu finden, da- von gibt es nämlich 14. Die Zahl macht deutlich, dass das Sammeln nicht aufgeht, deshalb müssen zwei dieser Karten vorher aussortiert werden. Ein entsprechender Hinweis in der Spielregel fehlt lei- der. Wer alleine spielen möchte, kann sich an einer Patience versuchen. Alle Karten werden dabei nach bestimmten Fragen sortiert. So kann zum Beispiel die Bevölkerungspyramide von Globospiel aufgebaut werden.
Für größere Gruppen, Schulklassen zum Beispiel, hilft die Systemische Aufstellung weiter und dient dem motivationalen Einstieg in Unterrichtseinheiten und dem Diskussionsanstoß. Jeder erhält eine Karte und macht sich mit der Person vertraut. Gut verbinden lässt sich diese Explorationsphase auch mit einer Kurzvorstellung, wobei die Namensaspekte mit einfließen können. Dann werden auf Lehrer- oder Gruppenleiterimpuls hin Gruppenkonstellationen vorgenommen. Starten lässt sich gut mit der Weiler- zugehörigkeit. Aber auch andere Konstellationen provozieren spannende Erörterungen. Wer isst weniger als 2.200 kcal am Tag? Wer stirbt vor dem 65. Lebensjahr? Wer besitzt maximale Bildungschancen?
Im pädagogischen Einsatz hat das Globospiel seinen besonderen Wert. Für den Politik- und Wirtschaftsunterricht kann es ausdrücklich empfohlen werden. Völlig zu Recht ist daher die Grundidee des Buches 2011 vom Land Tirol mit dem Bildungsinnovationspreis ausgezeichnet worden. Spielerisch bieten die 50 Karten eher Hausmannskost, wenn sie mit Diskussionen am Spieltisch verbunden ist, kann aber auch diese munden.