Lesenswert: “Unser kleines Dorf”
von Wolfgang Dirr
Leseforum Bayern
Die Wirtschafts- und Sozialhistoriker Josef Nussbaumer und Andreas Exenberger von der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck haben in ihrem Buch „Unser kleines Dorf“ die Welt zu einem Dorf mit 100 Menschen verdichtet, um ein Bewusstsein für die Lebensrealitäten und Zukunftschancen auf der Erde zu schaffen. Mit Hilfe zahlreicher Statistiken und dem umfänglichen Zahlenmaterial internationaler Organisationen gelingt es, aktuelle Problemlagen, globale Zusammenhänge und Entwicklungen am Ende der zweiten industriellen Revolution deutlich zu machen, das gleichzeitig die Krise der Globalisierung und das Ende des fossilen Zeitalters signalisiert. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen die Aspekte Bevölkerung, Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung, Energie, Mobilität, Arbeit und Konsum.
Das “Globo” genannte Dorf spiegelt die reale Welt im Jahr 2000 wider: Zwei Personen verfügen über die Hälfte aller materiellen und immateriellen Vermögenswerte, acht über 35 Prozent, weitere 40 über 14 Prozent. Das verbliebene Prozent müssen sich 50 Menschen teilen! Allein diese asymmetrische Verteilung birgt auf engem Raum genügend Sprengstoff: Fünf Bewohner verwenden die Hälfte des gesamten Dorfetats für Militärausgaben, um ihre Konsumgewohnheiten zu schützen. Nur elf Menschen in Globo haben ein Auto, ebenso viele besitzen eine Waffe, die meisten von ihnen gleich mehrere. Lebten 1825 nur 18 Menschen in Globo, waren es 1900 schon 27, im Jahr 2000 besagte 100 und heute 112. Fast jeder dritte Dorfbewohner ist “fehlernährt”, 17 Bewohner hungern, 11 werden als “fettleibig” beschrieben.
Wer dieses Buch liest, ist fasziniert. Ständig sehen wir in den Medien Statistiken, aber wenn die gewohnten Prozentzahlen plötzlich umgerechnet in Menschenzahlen im Dorf Globo präsentiert werden, wirken sie plötzlich ganz anders und werden unmittelbar erfahrbar. Diesem Zweck dient auch die Erzählung der Rahmenhandlung über die Krisen, die das Dorf Globo in Vergangenheit und Gegenwart erschütterten, und über die Chancen, die seine Menschen in der Zukunft haben. Die Spannungen im Dorfleben spitzen sich 2007 erneut zu, als ein Hauskäufer im “Weiler” Nordamerika seine ihm aufgedrängte Überschuldung nicht mehr bewältigen kann. Die Subprime-Krise der USA lässt grüßen! Die größten und vordringlichsten der Gefahren in Gegenwart und Zukunft sind am Schluss des Buches in einem Epilog zusammengefasst.
Damit der Blick auf die Zustände ein möglichst objektiver bleibt, haben die beiden Autoren jede Art von Meinung ausgeblendet und auch darauf verzichtet, Lösungswege anzubieten. Das Buch verknüpft einen wissenschaftlichen Anspruch – was die Qualität der Daten, die zahlreichen Fußnoten mit Erläuterungen, die Literaturhinweise und Webtipps angeht – mit dem Ziel, komplexe Zusammenhänge allgemeinverständlich und optisch ansprechend darzustellen. Die informativen, teils ungewöhnliche Graphiken des diplomierten Betriebswirts und freiberuflichen Gestalters Stefan Neuner leisten hierzu einen hervorragenden Beitrag und haben teilweise fast Comic-Charakter. Sie wirken, als gehörten sie zur Ausstattung eines Gesellschaftsspiels. Die zentralen Zahlen werden bunt und abwechslungsreich in Szene gesetzt.
„Unser kleines Dorf“ ist eine der heimlichen Verlagssensationen des vergangenen Jahres, der eine große Verbreitung zu wünschen ist. Mit gutem Grund wurde das GLOBO-Büchlein im Januar 2011 mit dem Bildungsinnovationspreis des Landes Tirol ausgezeichnet.
Eine Reihe von Lehrkräften entdeckte „Unser kleines Dorf“ schon als Medium zum vertiefenden Erklären der Welt. Auf der umfänglichen Homepage zum Buchprojekt www.teamglobo.net findet man neben Veranstaltungshinweisen und Pressestimmen weitere Informationen, Leseproben sowie ausgewählte Grafiken zum Download. Diese können in vielen Fächern und auch fächerübergreifend, z. B. an Projekttagen, gut für schulische Zwecke im Lernbereich “Eine Welt” genutzt werden. Der IMT-Verlag bietet einen USB-Stick an, auf dem alle Grafiken des Büchleins zusammengefasst sind.