“Wunder gibt es immer wieder”
von Stefan Becker
eco.nova, Februar 2011
And the Winner is …: „Unser kleines Dorf“. Das Taschenbuch gewinnt den Tiroler Bildungs-Innovationspreis 2010 und zeigt auf, wie famos die Dialektik der Zahlen und eine Didaktik der Bilder zusammenpassen. Ganz ohne Dialekt. Dafür mit umso mehr Leidenschaft.
„Unser kleines Dorf“ gilt als die heimliche Verlagssensation des vergangenen Jahres. Das Buch verkaufte ganz ohne Werbung bisher über 3000 Exemplare und den Lesern die aktuell gültige Wahrheit über die Lebensbedingungen ihrer Spezies auf dem Planeten und welche Wirkungen das Wirtschaften der vergangenen 200 Jahre bis heute zeigt. Ein großes Projekt. Und damit die Konfusion ob der komplexen wie komplizierten Kausalitäten nicht überhand nimmt, bedienten sich die drei Autoren eines Kunstgriffs: Sie schrumpften die Welt auf die Größe eines Dorfes mit 100 Menschen, verteilten diese proportional passend in die Weiler Afrika, Asien, Amerika und Europa und tauften das statistische Konstrukt „Globo“.
Wirtschaftshistoriker Josef Nussbaumer von der Inns brucker Uni hatte schon lange die Idee, eine vereinfachte und trotzdem wissenschaftlich korrekte Übersicht vom ökonomischen Treiben des Menschen auf Erden zu verfassen. Schließlich verfügte er über das notwendige Zahlenmaterial und durch einen anhaltenden Boom der Statistik sammelten sich immer mehr Daten auf seinem Schreibtisch. Doch erst am Stammtisch fiel 2005 die Entscheidung und das globale Dorf namens „Globo“ nahm numerische Gestalt an. Nussbaumer rechnete alles passend auf den verkleinerten Maßstab und präsentierte das fertige Manuskript seinem Kollegen Andreas Exenberger, drei Büros weiter.
Der saß ebenfalls hinter einem Berg von Blättern, sah die Seiten durch und schrieb so einiges um. „Ich musste immer wieder in Nuancen kontrollieren, ob das auch noch mein Text war“, erzählt Nussbaumer und grinst seinen Kollegen an. Der grinst zurück, hebt abwehrend die Hände und erwidert: „Ich erinnere mich da an eine ganz andere Version.“ So funktioniert die Welt: Jeder hat eben seine ganz eigene Sicht auf die Dinge. Damit aber gerade im Buch der Blick auf die Zustände ein möglichst objektiver bleibt, haben die drei Akademiker jede Art von Meinung ausgeblendet und auch auf das Angebot potentieller Lösungen verzichtet: „Das Buch soll dem Leser ein Werkzeug sein beim bewussten Handeln. Denn die menschliche Kreativität kennt keine Grenzen.“
Das leitet direkt über zum dritten Autor, der sehr wohl mit diversen Grenzen zu kämpfen hatte, und zwar mit den graphischen. Stefan Neuner schob die zu Weilern gewordenen Kontinente auf seinem Bildschirm hin und her und griff dann zurück auf einen Klassiker der Weltanschauung: das Logo der UN. Diese Komposi tion füllte er mit Farbe und Leben und kleinen Icons und setzte anschließend auf 70 bunten Seiten die zentralen Zahlen in Szene. So weit alles wunderbar, doch was noch fehlte, war ein Verlag. Und da geschah ein echtes kleines Wunder. Üblicherweise publizieren Wissenschaftler mehr oder weniger selbstfinanzierte und dazu blasse Fachliteratur in allesdruckenden Studienverlagen. „Globo“ aber entging dem Schicksal, ein ehemaliger Student von Nussbaumer begeisterte sich für das Projekt und gründete passend dazu den IMT Verlag in Kufstein. „Seine einzige Bedingung: Das Buch musste vierfarbig werden“, erzählt der Autor der ersten Stunde. So kam es und die Leserschaft wächst weiter von Tag zu Tag.
Weil sich der hohe Nutzwert des Werkes sofort erschließt. Neben der originellen Idee, die andere allerdings vorher auch schon hatten, erlaubt das Buch durch die Präsentation überschaubarer Größen plötzlich Vergleiche, die sonst weniger deutlich zu Tage treten. Vielleicht sogar lieber verschwiegen werden, weil in den Nachrichten gerade andere Themen aktuell sind. Denn die Medien lieben Katastrophen, Kriege und Krisen jeder Art. Je globaler, desto besser, solche Themen garantieren Auflagen und Einschaltquoten, provozieren für einen Moment die erwünschte Betroffenheit auf dem Sofa und motivieren temporär zu Akten karitativer Natur. Dann kommt die Werbung. Das Autorentrio wirbt auch auf seine leise Weise und zwar für mehr Gedanken, Ideen, Geistesblitze und was sonst noch hilft auf dem Weg in eine lebenswerte Zukunft. Denn gemessen an den gegenwärtigen Verbrauchswerten in den stark industrialisierten Weilern von Globo gibt es keine Garantie auf den Fortbestand eines Lebensstandards im Überfluss.
Glück und Elend dieser Welt haben einen Namen: Anthropozän. „So wird die Zeitspanne vom Beginn der Industrialisierung bis heute genannt“, sagt Nussbaumer, „in diesen 200 Jahren hatte der Mensch den größten Einfluss auf die Umgestaltung der Erde und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Umwelt.“ So zeigt das Buch neben dem globalen Status quo basierend auf den jüngsten Daten zu allen Themen auch die Entwicklungen bis heute und in welchen Sprüngen sie verliefen. Dabei kommt der Zeit als solcher eine eigene Bedeutung zu. So wie sich zum Beispiel die Phasen von Produktzyklen stetig verkürzen, so rasant steigt auf der anderen Seite die Umweltverschmutzung oder das Leerfischen der Meere: „Die generelle Beschleunigung birgt die Gefahr, dass die Zeit zum Reagieren auch immer kürzer wird“, sagt Exenberger.
Dabei bleibt das Buch immer sachlich – oberstes Gebot. Doch es liefert mit den Fußnoten jedem Interessierten die besten Quellen zu den Problemen unserer Zeit und es weckt durch seinen entspannten Umgang mit Zahlen sogar die Lust am Kopfrechnen. Was es zu einer weiteren Bereicherung des Unterrichts macht. Immer mehr Lehrer entdecken „Unser kleines Dorf“ als optimales Medium zum vertiefenden Erklären der Welt. Was Kinder vielfach wünschen und auch brauchen, denn die oft verstörende Bildsprache auf Werbeplakaten oder in Nachrichtensendungen setzt zu sehr auf Effekthascherei.
Das goutierte die Jury des Bildungs-Innovationspreises und sprach einen der beiden mit 2.500 Euro dotierten Preise dem Autorentrio zu. Welches das Geld in die weitere Entwicklung des Projekts investieren will. Und ein Teil wird gespendet, wie die bisherigen Gewinne aus dem Buchverkauf. Auf diese Weise und dokumentiert auf der Homepage www.teamglobo.net zeigen die Macher auch ganz persönlich, was ihnen wichtig ist, und wo weiteres Engagement die Not lindern und Zukunft sichern kann.