Wer denkt bei Missionaren schon an Atomphysiker, Brückenbauer oder gar Satelliten? Geschichten über unermüdliche, unbeirrbare und mutige Tiroler Nonnen und Pater.
Innsbruck – Josef Nussbaumer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit sozialen Ungerechtigkeiten – im eigenen Land und weltweit. Der emeritierte Professor für Wirtschafts und Sozialgeschichte an der Uni Innsbruck ist Obmann des karitativen Forschungsvereins „teamGlobo“ und hat mit „Hoffnungstropfen Tirol“ – gemeinsam mit Stefan Neuner – ein Buch über Nächstenliebe geschrieben. Darin geht es um ehrenamtliche Aktivitäten in Tirol. Bei seinem neuesten Projekt hat er sich der „Fernstenliebe“ gewidmet, wie er meint: Menschen, die sich für andere einsetzen, die sie nicht kennen – „für das Überleben unseres Globus ist das von großer Bedeutung“.
Nach aufwändigen Recherchen ist dabei „Aufbruch in andere Welten – Ein Tiroler MissionsBüchlein 1945–2021“ entstanden, das ein bisher kaum beleuchtetes Gebiet der Tiroler Zeitgeschichte vor dem Vergessen bewahren soll. Anlässlich des heutigen Weltmissionssonntags erzählt Nussbaumer über seinen „kleinen“ Beitrag zur Dokumentation der Tiroler Globalisierungs oder Solidaritätsgeschichte.
Mehr als 300 Frauen und Männer sind von 1945 bis heute von Tirol aus hinaus in die weite Welt gegangen, um die Idee des Christentums zu verbreiten, meistens ging es dann aber vor allem darum, die Lebensumstände der Menschen in den jeweiligen Ländern zu verbessern, berichtet der Autor. „Sie setzten sich dafür ein, dass Krankenhäuser, Schulen oder Brunnen gebaut werden.“ In zumindest einem Fall sind es sogar sehr viele Brunnen: Der bekannte HerzJesuMissionar Pater Hans Schmid stand zehn Jahre auf einer Todesliste, er gehörte zu den am meisten bedrohten Menschen in Brasilien, wo er bis heute lebt. Und er hat in den vergangenen Jahrzehnten mehr als 100 Brunnen gebaut, mit denen Gemeinschaftsgärten betrieben werden, von denen viele Menschen leben können. Seine Heimatgemeinde See im Paznaun hat Pater Schmid, der es wie Mutter Teresa hält, die meinte, „helfende Hände sind heiliger als betende Lippen“, längst die Ehrenbürgerschaft verliehen.
Ein ausführliches Kapitel ist einem Jesuiten gewidmet, „dem Sputnik unter den Missionaren“: „Ja, wenn man einem Bürger von St. Johann die Bezeichnung ,Weltbürger‘ verleihen wollte, dann müsste es wohl ohne Konkurrenz P. Johannes Hofinger sein“, schreibt der Historiker. Und das nicht nur wegen seiner vielen Reisen – insgesamt 17mal umrundete Hofinger dabei die Erde, was ihm den Namen „Sputnik“ einbrachte –, sondern auch wegen seiner Bemühungen, die katholische Obrigkeit von der Verwendung der Volkssprache bei der Glaubensverkündung zu überzeugen. „Außerdem setzte er sich schon 1957 für priesterlose Messen in der Mission ein, das zeigt, wie weit er seiner Zeit voraus war.“
Der Atomforscher unter den Missionaren war Pater Franz Xaver Roser, ebenfalls ein Jesuit. Er war in Brasilien tätig. Seine Dissertation schrieb er über seine Untersuchungen über die „kosmische Ultrastrahlung auf dem Hafelekar 1937“. Und er war vermutlich auch der einzige Missionar weltweit, der einen Atomalarm auslöste, als er einige Pflanzen zu Forschungszwecken in die USA mitnahm. Sie stammten aus einer Region mit hoher Strahlung nach einem Meteoriteneinschlag.
Dass zwei Tiroler Ordensfrauen für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurden, ist ein weiteres „Schmankerl“ aus der Tiroler Missionsgeschichte, wie Nussbaumer meint. Es sind Marianne Stöger aus Matrei am Brenner und Margit Pissarek aus Innsbruck, die sich mehr als 40 Jahre auf der Insel Sorok in Südkorea aufopfernd um Leprakranke kümmerten. Die beiden sind Mitglieder der Christkönigsschwestern.
Auch technische und handwerkliche Multitalente gab und gibt es unter den Missionaren, wie jenen Ordensbruder, der im Laufe der Jahrzehnte über 500 Kilometer befestigte Straßen und Brücken baute, einen Säge und Ziegelwerkserbauer und mit dem Kapuzinerpater Günther Hohlrieder aus Breitenbach am Inn einen Ordensbruder, der sich in Madagaskar als Koch, Tischler, Schnitzer, Gärtner, Viehzüchter und Weinbauer bewährte.
Unter den im Buch vorgestellten Missionsschwestern fand sich mit Sr. Maria Johanna Senn aus Tannheim eine Ordensfrau, die viel zu wenig bekannt war, meint Nussbaumer. Die ausgebildete Bildhauerin entwarf die Pläne für etliche Kirchen in Südafrika und förderte dort auch junge Talente. In der Kirche St. Georgen in Telfs ist ein Emailtabernakel von ihr zu sehen.
„Viele Missionare waren kluge, pfiffige Leute, die sich zu helfen wussten“, sagt der Autor. Fasziniert hat ihn aber vor allem, dass es ihnen weniger um Glaubensvermehrung als vielmehr um die Entwicklung eines Hilfsgedankens ging. Viele bezahlten diesen Einsatz mit ihrem Leben.
Weltenbürger aus Tirol auf Hilfsmission
Von Michaela S. Paulmichl
Tiroler Tageszeitung, 24.10.2021, Nr 294 Seite 18-19