Josef Nussbaumer war Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck. Sein Lieblingsfach: globale Ungerechtigkeit, die er auch in seinem Verein teamGlobo sowie in seinen Büchern aufzeigt. Im Gespräch mit dem ISOCELLER erzählt er, was an der Coronakrise positiv ist und wie ein Australier in Afrika gezeigt hat, dass jeder Einzelne die Welt ein bisschen verändern kann.
Zuerst die Klimakrise, nun die Coronakrise samt Wirtschaftskrise. Sie sind Experte für Wirtschaftsgeschichte seit 1850. Im Rückblick auf die Vergangenheit: Blicken Sie positiv in die Zukunft?
JOSEF NUSSBAUMER: Wenn ich da eine gute Antwort hätte, würde ich sehr viel Geld verdienen. (lacht) Es ist sicher so, dass die ökonomische Situation in den nächsten Monaten schwerer wird, das ist keine Frage, weil die Folgen von Corona noch nicht prognostizierbar sind. Es hängt auch davon ab, wie lange diese Krise uns noch tangiert. Wenn wir längere Zeit keinen Impfstoff haben, wird es sicher ein Riesenproblem. Aber es gibt einen positiven Aspekt: Das Virus selbst ist eigentlich relativ harmlos im Vergleich zu Ebola zum Beispiel, wo die Letalität wesentlich höher ist. Was aus der Geschichte heraus dennoch vergleichbar ist, ist die Spanische Grippe am Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Sozialpolitik hat in dieser Zeit völlig versagt, die ökonomischen Folgewirkungen davon waren insofern interessant, als dass in der Folge Parteien wie die NSDAP profitierten. Vielleicht steht uns bald, da in Österreich die FPÖ derzeit prozentuell am Boden ist, eine Renaissance dieser Partei bevor. Das grundsätzliche Problem der Coronakrise ist, dass sie uns in einer Zeit des hohen Konsumniveaus erwischt hat.Darauf waren wir nicht vorbereitet. Wir waren darauf programmiert, dass es so weitergeht wie bisher. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass die vergangenen fünfzig Jahre in Österreich die besten waren, die wir jemals in unseren Breitengraden hatten. Wir alle, die hier aufgewachsen sind, haben das als normal empfunden, es war aber eigentlich völlig abnormal. In der Zwischenkriegszeit war die Krise omnipräsent und ein Urlaub sehr ungewöhnlich.
Sie sind mittlerweile im Ruhestand, aber immer noch Teil des Vereins teamGlobo, der globale Ungerechtigkeiten aufzeigen will – unter anderem mit Büchern wie „Hoffnungstropfen“ und zuletzt „Globo“, in denen die Welt auf ein 100-Menschen-Dorf runtergebrochen wird. Woher kommt der Antrieb für diese Tätigkeit?
Wir haben vor zwölf Jahren ein erstes Buch herausgegeben, in dem es um ein kleines Dorf ging und das in gewissem Sinne versucht, Zusammenhänge verständlich zu machen. Das war eine langgehegte Idee zu einem Thema, das mich über 30 Jahre beschäftigt hat. Auf der ökonomischen Fakultät hatten wir immer das Problem, dass die Menschen ab gewissen Größenordnungen kein Gefühl mehr für Zahlen hatten. 100 oder 1.000 sind nachvollziehbar, aber bei Millionen oder gar Milliarden wird es schwierig. Also brechen wir die Welt auf 100 Menschen herunter. Da kommen Themen wie Landwirtschaft, Verkehrswesen oder Hunger vor. Es ist ein kleines Dorf, das alle Probleme dieser Welt kennt. Als wir unser erstes Buch geschrieben haben, haben wir 500 Stück aufgelegt, am Ende aber über 7.000 verkauft. Dann haben wir uns gefragt, was wir mit den Tantiemen machen sollen – und so ist der Verein entstanden. Neben Büchern gibt es auch Vorträge und mit den Einnahmen unterstützen wir Bildungs- oder Sozialeinrichtungen, die ähnlich denken wie wir. Bisher kamen auf diesem Wege 200.000 Euro zusammen.
Ihr aktuelles Werk, das diesen Herbst erschienen ist, beschäftigt sich ebenfalls mit 100 Menschen. Was findet sich darin?
Es heißt „Globo“ und ist eine Überarbeitung des alten Werks. Es handelt wieder von einem Dorf mit 100 Bewohnern und stützt sich auf aktuelle Zahlen von internationalen Datenbanken. Es ist nicht so, dass es in Afrika keine reichen Leute gibt – aber eben nur einen, wenn man es runterbricht. Der Hintergrund zu unseren Büchern ist, etwas Positives aufzuzeigen. Es ist in der Ökonomie oft so, dass alles Negative zusammengefasst wird. Das ist bei unseren Buchpräsentationen auch immer als Feedback gekommen, daher haben wir positive Geschichten gesucht und vermitteln diese. Es sind über 50 Beispiele geworden, z.B. im Bereich der Armut, Waldabholzung oder Demokratie. Das ist übrigens auch eine Herausforderung der Coronakrise: Durch dieses Virus werden viele Probleme zugedeckt, die viel gravierender sind – ein ganz banales davon ist Hunger in vielen Ländern dieser Erde.
Was ist eines Ihrer Lieblingsbeispiele positiver Art?
In Afrika ist die Entwaldung ein großes Thema. Es gibt den Fall eines Australiers, der lange versucht hat, der Entwaldung entgegenzuwirken und aufzupflanzen. Er hat Bäume angesetzt, die ihm immer wieder ausgetrocknet sind, weil zu wenig Wasser vorhanden war. Doch dann hat er entdeckt, dass sich noch ein altes Wurzelsystem im Boden versteckt hat. Er hat die alten Wurzeln reaktiviert und siehe da, es gab schon bald wieder prächtige Wälder. Es ist der Beweis, dass auch Einzelpersonen etwas bewirken können. Der Mann hört auf den Namen Tony Rinaudo und erhielt für seine Begrünung von Wüsten den alternativen Nobelpreis. Wenn man sagt, man könne eh nichts tun, bewahrheitet sich das. Aber wenn man etwas unternimmt, geht es vielleicht doch. Wenn die Welt überleben will, braucht es viele kleine Dinge, viele kleine Menschen, die etwas zum Besseren verändern wollen. Auch Menschen, die einen nachhaltigen Dämmstoff machen wollen. Auch das hat jemand einfach einmal gemacht.
Interview: Die Vergangen 50 Jahre waren nicht normal
ISOCELLER #9, Seite 42-44