TT – Viele Tropfen werden zum Fluss

Interview: Stefan Neuner
von Mag.a Judith Sam
Tiroler Tageszeitung, 04.01.2018, S 26

Kriege, Ausbeutung und Hungersnöte: Die Welt erscheint oft katastrophal. Trotzdem ruft der Innsbrucker Verein teamGlobo, bisher eher bekannt für kritische Töne, zu Optimismus auf.

Innsbruck — Stefan Neuner hält nicht viel davon, sich einzuschränken. Schwer zu glauben, wenn man weiß, dass der Wirtschaftshistoriker kein Auto besitzt, sich nur alle zwei Jahre neue Hosen gönnt und weniger als ein Dutzend Oberteile in seinem Schrank hängen: „Ich bezeichne das nicht als Einschränkung, sondern als Befreiung.”
Man nehme nur ein Auto als Beispiel: Wer keines besitzt, muss sich nicht über steigende Benzinpreise aufregen, sucht nicht ständig nach Parklücken und hat keine Sorge, ob man ihm den Lack zerkratzt. „Wer wie ich eine Jahreskarte für den Bus hat, reist ohne Sorgen von A nach B”, sagt der Telfer.
Ähnlich nachhaltig denken seine Kollegen vom Innsbrucker Verein teamGlobo, der 2009 gegründet wurde. Die Wirtschaftshistoriker Neuner, Josef Nussbaumer und Andreas Exenberger verfassten damals das Buch „Unser kleines Dorf”. Der Verkauf des Werks, das die gesamte Welt als einen Ort beschreibt, in dem 100 Menschen leben, brachte 500 Euro ein. „Die Summe unter uns aufzuteilen, kam uns unpassend vor. Also haben wir sie gespendet”, erinnert sich Neuner.
Das Konzept gefiel. Bis heute hat der Verein, zu dem auch Wirtschaftshistoriker Markus Mayr und Pädagogin Christine Rainer zählen, 110.000 Euro gesammelt — aus dem Erlös von mittlerweile vier Büchern, einem Spiel und den Einnahmen aus Vorträgen an Schulen sowie für Erwachsene.
Wem das Geld konkret zugutekommt, kann man auf der Homepage nachlesen: www.teamglobo.net. Neuner berührten vor allem zwei Projekte: „Die Innsbruckerin Edith Kaslatter reist auch im hohen Alter noch jedes Jahr in den Sudan, um dort eine Schule zu unterstützen. Mit den 4000 Euro, die wir ihr mitgegeben haben, kann sie die 150 Schülerinnen dort ein Jahr ernähren. Wir wissen allerdings, dass nicht nur in der Ferne, sondern auch in Tirol Handlungsbedarf besteht.” Darum unterstützte teamGlobo zu Weihnachten die städtische Herberge in Innsbruck, in der Obdachlose bekocht wurden.
Einen großen Teil des Geldes erarbeiteten die fünf Forscher etwa anhand ihres letzten Buchs „Leidenswege der Ökonomie”, in dem die Folgen des verschwenderischen Lebensstils der Ersten Welt betrachtet werden. „Der Inhalt ist jedoch so desillusionierend, dass wir Sorge hatten, die Leser würden gar nicht mehr versuchen, etwas zu verbessern, weil ohnehin alles verloren schien”, resümiert der 38-Jährige.
Im Gegenzug recherchierten Neuner und Nussbaumer während der letzten 18 Monate den Inhalt des aktuellen Buchs „Hoffnungstropfen”, dessen erste Auflage vergangenen Dezember erschien und nach drei Wochen ausverkauft war. Lesestoff für Optimisten — dessen zweite Auflage Mitte Jänner erscheinen wird: „Darin sammeln wir Beispiele, wie auch Einzelne mit kleinen Projekten die Welt verbessern. Einer meiner Favoriten ist Tony Rinaudo. Der Australier musste sich jahrelang anhören, was für ein Spinner er sei, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, afrikanische Steppengebiete aufzuforsten. Dazu umzäunte er kleine Bäume, damit sie nicht von Wildtieren abgefressen werden. Heute stehen aufgrund seiner Initiative 200 Millionen Bäume.”
Ein anderes Beispiel ist das „Global Soap Project” aus Atlanta, wo Freiwillige Seifenreste von Hotels sammeln, die im Rahmen von Hygiene-Bildungsprogrammen in 29 Ländern der Welt verteilt werden.
Theoretisch könnten viele solch kleiner Hoffnungstropfen einen reißenden Fluss bilden. Warum dominieren dennoch negative Nachrichten? „Menschen halten wenig von Verzicht. Sie glauben, sie bräuchten drei Fernsehapparate pro Wohnung — egal, wie viel Rohstoffe dafür gebraucht und billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Noch nie in der Geschichte waren Menschen besser informiert. Dennoch laufen wir Gefahr, an unserer eigenen Ignoranz zugrunde zu gehen”, geht Neuner hart mit der Konsumgesellschaft ins Gericht.
Er empfiehlt, gar keine großen Projekte zu planen: „Die durchzuhalten, ist meist so unrealistisch wie Neujahrsvorsätze. Wer die Welt besser machen will, sollte klein beginnen, frei nach dem Zitat des deutschen Kaufmanns Silvio Gesell: ,Weltfrieden wird möglich, wenn man seinen Nachbarn mag.'”